Wahre Storys

Interviews - Wahre Geschichten haben keinen Anfang und wirken ohne Ende

Ein Interview mit Karolina - Mobbing aus der Sicht einer Schülerin

 

T=Team, K=Karolina

 

 

 

T: Also Karolina erstmals vielen Dank, dass du dich bereit erklärt hast, dieses Interview mit uns durchzuführen.

 

K: Ist für mich kein Problem. Ich finde es einfach wunderbar, dass junge Frauen wie ihr, die auch noch in der Ausbildung sind, ein Projekt zu so einem leider sehr aktuellen Thema auf die Beine gestellt haben. Genau wie ihr bin ich der Meinung, dass die Menschheit nach wie vor ihre Augen davor verschließt und dieses Thema verharmlost.

 

T: Du hattest uns ja erzählt, dass du leider ein Opfer des Mobbings warst. Würdest du uns erzählen, wie es überhaupt dazu kam und vor allem wie du dich gefühlt hattest?

 

K: Da brauch ich nicht lange zu überlegen. Es fing alles im Kindergarten an. Ihr müsst wissen: Als ich damals in den Kindergarten kam, konnte ich kein Deutsch sprechen und verstehen. Ich verstand und sprach nur kroatisch und konnte mich aus diesem Grund mit niemandem verständigen. Deswegen hatten mich die Kinder gehänselt. Irgendwann hatte ich jedoch eine Sprach- und Entwicklungsstörung und konnte nicht mehr sprechen. Ich musste also komplett neu sprechen lernen und ging deswegen jahrelang zur Therapie.

 

T: Das war mit Sicherheit eine schwere Zeit für dich.

 

K: Das war jedoch noch nicht so schlimm wie es dann einige Jahre später war. Denn schließlich kann ich mich an die Zeit, wo ich nicht sprechen konnte, nicht mehr erinnern. Aber von der Zeit danach ist mir einiges im Gedächtnis geblieben was für mich sehr schlimm war.

 

T: Was ist dir denn aus dieser Zeit im Gedächtnis geblieben?

 

K: Ich wurde damals immer von einem Jungen aus meiner Gruppe sowie einem Mädchen aus einer anderen Gruppe gehänselt, ihre Namen waren Andy und Tina.

 

T: Wie sahen diese Hänselleien aus?

 

K: Sie hatten sich über mein Aussehen lustig gemacht, hatten mir fiese Spitznamen gegeben, Dinge gesagt, über die ich mich aufregte und hatten sich darüber lustig gemacht, dass ich zur Therapie ging, da ich wohl nicht „normal“ war. Das Beste war aber noch, dass meine damals „beste Freundin“ auch noch mit Tina befreundet war. Irgendwann wurde ich auch in ihren „Freundeskreis“ aufgenommen und ich war glücklich. Jedoch bemerkte ich erst viel zu spät, dass sie mich nur ausnutzte. Ich war einfach nur glücklich, „Freunde“ zu haben. Leider kam es durch Tinas Einfluss dazu, dass ich eine wahre Freundin von mir, Amy, gemobbt hatte.

 

T: Was hattet ihr gemacht?

 

K: Wir haben uns über sie lustig gemacht und ihr fiese Spitznamen zugerufen, sie hatte geweint. Ich hatte mich furchtbar gefühlt denn schließlich wurde ich unbewusst zur Mitläuferin. Es wurde so schlimm, dass Amy den Kindergarten verließ und umzog.

 

T: Was ist danach passiert?

 

K: Der Kindergarten hatte unsere Eltern angerufen und ein Gespräch mit uns geführt. Wir wurden gefragt, wie wir uns fühlen würden, wenn jemand sowas mit uns machen würde. In diesem Moment begriff ich es: Es war so wie bei mir gewesen. Jedoch begriff ich es zu spät, denn Amy war schon weg. Seit diesem Tag wollte ich mich einfach nur noch bei ihr entschuldigen für das, was ich ihr angetan hatte.

 

T: Da sieht man, was geschieht, wenn man sich mit den falschen Leuten anfreundet. Würdest du uns bitte weiter erzählen, was danach geschah?

 

K: Natürlich, einige Jahre später kam eine neue Erzieherin in meine Gruppe. Ihr Name war Natalie. Nachdem ich unbeabsichtigt eine Sachbeschädigung beging, wurde ich von ihr vom allerfeinsten fertig gemacht. Sie brüllte mich an, gab mir Verbote für Dinge, die ich nicht getan hatte. Es reichte dabei nur aus, wenn ich sie auch nur ansprach. Ich hatte Alpträume von ihr und ihren teuflischen Augen, die mich ansahen, als wollten sie mir meine komplette Seele aussaugen… Gruselig! (Gänsehaut bekomm) Aber leider ging alles in der Grundschule weiter…

 

T: Auch in der Grundschule? Einfach nur unglaublich!

 

K: Ja leider, denn Andy, der Junge aus dem Kindergarten, kam leider in meine Klasse und leider war Tina ebenfalls in meinem Jahrgang. Und leider war ich noch immer mit ihr „befreundet“.

 

T: Das heißt du konntest dich nicht von ihr abseilen?

 

K: Genau das heißt es. Ich war damals einfach zu naiv und gutgläubig. Daran hat sich aber bis heute leider nicht viel geändert. Aber zurück zum Thema. Meine ganze Klasse hatte mich gehasst und deswegen ausgegrenzt, außerdem hatten sie sich über mein Gewicht sowie meiner Klamottenfarbe lustig gemacht. Damals trug ich nämlich gerne rosa, was ich aber deswegen nicht mehr trage, da ich angefangen habe diese Farbe zu hassen.

 

T: Hatten deine Lehrer damals nichts dagegen unternommen?

 

K: In der 3.Klasse bekam ich eine neue Klassenlehrerin. Meine Mutter hatte damals mit ihr ein Gespräch geführt damit dieses Mobbing und die Ausgrenzung aufhören. Die Lehrerin hatte jedoch nicht viel unternommen. Sie hatte nur die Mädchen aus meiner Klasse gefragt, ob ich in den Pausen bei denen bleiben kann. Ich fand die Idee nicht gut.

 

T: Wie lief es denn?

 

K: Es hatte, wie zu erwarten, nicht funktioniert und die Lehrerin meinte es wäre meine Schuld, da ich das nicht wollte. Ich stand nämlich nur die ganze Zeit neben denen und wurde von ihnen ignoriert. Es tat furchtbar weh. Ich wollte irgendwann auch nicht mehr zur Schule gehen. Zusätzlich hatte ich mit meiner Mathelernschwäche zu kämpfen, da ich deswegen von meiner Klasse auch noch als dumm bezeichnet wurde.

 

T: Warst du froh gewesen, als du von deiner Grundschule abgingst?

 

K: Ob ich froh war? Aber sowas von! Ich hatte Freudenhüpfer gemacht. Ich hatte gehofft, dass sich alles auf der weiterführenden Schule ändern würde. Schließlich hatte ich es endlich geschafft mich von Tina und ihrer Masche zu lösen.

 

T: Und? Hatte sich danach dort was geändert?

 

K: Zu meiner großen Enttäuschung musste ich dort leider feststellen, dass sich fast nichts geändert hatte. Außer mit der Ausnahme, dass ich in meiner Klasse sowie Partnerklasse eine Freundin gefunden hatte und ich mich mit einigen Jungs gut verstand.

 

T: Wie lief es denn mit den Mädchen aus deiner Klasse?

 

K: Dort lief es genauso wie im Kindergarten und in der Grundschule, denn es gab dort auch eine „Tina“. Einziger Unterschied: Ihr Name war Clarissa.

 

T: Wie waren die Jahre an dieser Schule für dich gewesen?

 

K: Wahrscheinlich schlimmer als im Kindergarten und der Grundschule zusammen…

 

T: Warum denn?

 

K: Ein Junge, der ebenfalls Kroate ist, machte sich die ganze Zeit über mich lustig, da ich weder meine Muttersprache verstehen noch sprechen kann. Ein anderer Junge aus meiner Klasse verbreitete Gerüchte über mich in denen ich vor seinem Haus gestanden, ein Lied für ihn gesungen und ihm meine Liebe beteuert hätte…. Dann ging es in der Klasse wieder um meine Figur und welche Farbe ich trug.

 

T: Fand das Ganze auch irgendwann ein Ende?

 

K: Ja Gott sei Dank kann ich da nur sagen. Es hörte auf der Klassenfahrt in der 7. Klasse auf.

 

T: Kam es danach noch irgendwann vor, dass du gemobbt wurdest?

 

K: Es kam zwar noch ab und zu vor und regte mich deswegen auch auf, jedoch war es nicht mehr so schlimm wie früher. Aber an eine bestimmte Sache kann ich mich noch klar erinnern…

 

T: An welche?

 

K: Clarissa hatte es in den Jahren geschafft, eine 4-er Mädchenclique zusammenzustellen, die es doch tatsächlich geschafft hatte, die komplette Klasse zu mobben. Ich stellte mich ihnen immer dann in den Weg, wenn die Kinder mit einer Behinderung aus meiner Klasse von Ihnen gemobbt wurden.

 

T: Das ist ziemlich mutig von dir gewesen. Wie konnte erreicht werden, dass die Gruppe nicht mehr mobbt?

 

K: Es gab mehrere Klassendiskussionen, Verwarnungen, kleine Strafarbeiten und Elterngespräche. Leider half das nicht. Das letzte Mittel: Die Mädels wurden aufgeteilt und für 4 Wochen in verschiedene Klassen gesteckt, damit sie ihr Verhalten überdenken konnten.

 

T: Waren alle 4 Mädchen aus dieser Gruppe Täter oder gab es auch Mitläufer und Zuschauer?

 

K: Täterin war Clarissa alleine. Die anderen drei waren Mitläuferinnen bzw. Zuschauerinnen gewesen.

 

T: Verbesserte sich durch die Strafe der vier die Klassensituation?

 

K: Ja, es gab zwar noch Auseinandersetzungen, aber nur noch unter den vieren.

 

T: Wie war es für dich? Wurdest du in Ruhe gelassen?

 

K: Ich habe mir gesagt, dass ich mich nirgendswo einmischen werde, außer wenn meine beste Freundin, die I-Kinder aus meiner Klasse oder ich selbst gemobbt werden.

 

T: I-Kinder?

 

K: Ihr solltet wissen, dass ich auf einer integrativen Gesamtschule war. I-Kinder werden die Kinder genannt, die eine Behinderung haben.

 

T: Vielen Dank für diese Information. Wie liefen denn die Jahre bis zu deinem Abschluss?

 

K: Nun, was soll ich sagen? Es gab Höhen und Tiefen, Momente die ich schön und auch furchtbar fand.

 

T: Wurdest du irgendwann danach nochmal gemobbt?

 

K: Ich wurde zwar noch etwas gehänselt, aber ignorierte es oder hatte mich gewehrt.

 

T: Was würdest du sagen: Was hat Mobbing heute aus dir gemacht?

 

K: Das kann ich euch gerne sagen: Mobbing hat aus mir eine extrem zurückgezogene junge Frau gemacht, die sich nicht traut, mit anderen Personen in Kontakt zu treten, da sie niemandem vertrauen kann. Ich bin schüchtern, habe so gut wie kein Selbstvertrauen und ziehe es vor, allein zu sein. Ich finde es einfach furchtbar.

 

T: Denkst du es hätte damals, als alles anfing, eine Möglichkeit gegeben das zu verhindern?

 

K: Mit Sicherheit. Wenn ich mir heute im Internet die ganzen Beratungsstellen, Chats und Hotlines angucke, werde ich wütend und traurig zugleich. Ich denke mir nur: Hätten die Verantwortlichen des Kindergartens und der Schulen dieses Thema nicht unter den Teppich gekehrt, sich mehr informiert und auf Beratungsstellen aufmerksam gemacht, dann wären mir die ganzen Jahre der Folter erspart geblieben und ich wäre heute vielleicht ein komplett anderer Mensch, der mit anderen ganz einfach in Kontakt treten kann…

 

T: … Sorry, wir sind nur so sprachlos von deiner Geschichte. Es ist einfach nur schade, dass sowas geschehen musste, weil die Menschheit wegschaute. Wir hoffen und beten sehr, dass wir mit unserer Webseite vielleicht daran etwas ändern können.

 

K: Ich wünsche euch dafür alles Glück dieser Welt. Vielleicht wird es heutigen Mobbingopfern helfen können, etwas an ihrer Situation zu ändern.

 

T: Das hoffen wir alle sehr. Vielen Dank, Karolina für deine Geschichte und für deine Bereitschaft, uns zu helfen.

 

K: Vielen lieben Dank ihr drei, dass ich kommen durfte.

 

 

 

 

 

Nachwort: Wir hoffen, wir konnten euch zeigen, wie es ist, wenn Mobbing schon bereits im Kindergarten anfängt und was es aus einer Persönlichkeit alles machen kann. Wir wünschen euch, dass ihr es ebenfalls schafft, aus diesem Teufelskreis zu entkommen und ein „neues Leben“ anzufangen.

 

Nun noch einige Worte von Karolina an euch: „Ihr dürft die Hoffnung nicht aufgeben. Denkt an euer Glück, das ihr erhaltet, wenn dieser Teufelskreis ein Ende hat. Versucht aus eurem Leben ein Leben zu machen, in dem ihr die „Macht“ habt. Also ein Leben frei von Mobbing und voller Selbstbewusstsein.“

 

 

 

Liebe Grüße

 

Karolina und das Team der Webseite tippsfuermobbingopfer.jimdofree.com

 

6. Klasse - Mobbing in der Grundschule - erzählt Klassenlehrerin Frau T.

Team: Welche Erfahrungen haben Sie während  ihrer Karriere bezüglich dem Thema Mobbing gesammelt?

 

Frau T.: Ich muss sagen, es gab leider zu viel. Ich arbeite als Lehrerin seit 32 Jahren und dieses Phänomen war früher auch bekannt. Aber in den letzten Jahren hat sich das Problem dank der technischen Entwicklung verstärkt. Die Kinder haben eine bessere Möglichkeit bzw. einen sicheren Kanal gefunden. Ich meine also Chats und Social Media, in denen sie einander fast ohne Überwachung belästigen, mit Worten und Taten verletzen.

 

Team: Bedeutet das, dass die Kinder weniger oder kaum einander persönlich mobben?

 

Frau T.: Kaum würde ich nicht sagen, aber es gibt schon viele, die einfach mutiger in der virtuellen Welt sind. Überraschend ist, dass Cybermobbing für uns auch einen Vorteil bedeutet.

 

Team: Warum?

 

Frau T.: Weil man es einfach dokumentieren kann. Wenn etwas in der Schule passiert und da waren keine Zeugen oder Zeuginnen, müssen die Lehrer und Lehrerinnen die Wahrheit eigenständig herausfinden.

 

Team: Haben Sie in den letzten Jahren einige Situationen gehabt, die Sie uns gerne erzählen möchten? Wir würden es gerne veröffentlichen, damit wir anderen vielleicht weiterhelfen können.

 

Frau T.: Oh ja. Sehr gerne. Ich finde es eine tolle Idee, deshalb erzähle ich euch eine sehr emotionale Situation. Es passierte in diesem Schuljahr in meiner Klasse.

Es gab eine Clique aus 4 Jungen. Sie mobbten die ganze Klasse: Ein kräftiger und nicht sportlicher Junge, der mit seinen Klassenkameradinnen befreundet war, wurde am meisten gemobbt. Er konnte sich nicht wehren, da er mit seiner äußerlichen Erscheinung nicht zufrieden war. Durch seine Erlebnisse, hat sich seine Persönlichkeit verändert. Er fühlte sich unsicher und ist zum Einzelgänger geworden.

 

Team: Was ist mit ihm passiert?

 

Frau T: Das Problem war, dass das Kind nicht mit uns über seinen Kampf gesprochen hat.  Im Rahmen des Elternabends hat seine Mutter erst nach einem Jahr über die Situation gesprochen. Ich war selbst sehr überrascht, weil ich  während des Unterrichts nie etwas bemerkt habe. Nach Erhalt dieser Informationen habe ich mit meiner Klasse ein Gespräch geführt.

Da haben viele andere Betroffene mutig erzählt, dass sie auch mit diesen Jungs ähnliche Erfahrungen gesammelt haben. Nach dem Gespräch wurde es schlimmer und die Jungs haben mit dem Mobbing nicht aufgehört. Die Mobber waren wütend auf die Klasse, deshalb ist die Situation noch schlimmer geworden.

 

Team: Wie konnten Sie das Problem lösen?

 

Frau T.: Ich musste schnell handeln, weil zwölf Schülern/innen sich von der Schule abmelden wollten, falls die Situation sich nicht ändert. Ich habe weitere Gespräche und auch einen Ausflug mit der Klasse organisiert und es hat schon was verändert. Zwei Jungen aus der Gruppe haben sich vor der Klasse entschuldigt. Ich denke, es war ein sehr mutiger Schritt und deshalb hat die Klasse denen eine zweite Chance gegeben. Ein Junge hat leider trotzdem mit dem Mobbing weitergemacht. Er hat sein Spiel auf eine höhere Ebene gebracht und ist sogar handgreiflich geworden, sodass ein anderer Mitschüler ins Krankenhaus musste.

 

Team: Welche Konsequenzen bekam er?

 

Frau T.: Erstmals fand eine Klassenkonferenz statt, dann wurde entschlossen, dass er der Schule verwiesen wird.

 

Team: Fand das Mobbing danach ein Ende?

 

Frau T.: Ja, tatsächlich hat das Mobbing aufgehört. Der Rest aus der Gruppe hat eingesehen, dass es große Konsequenzen gibt, wenn man die Grenzen überschreitet.  Außerdem hat die Klasse einen guten Zusammenhalt entwickelt, sodass die früheren Betroffenen selbstbewusster werden und Unterstützung erhalten.

 

Team: Frau T. vielen Dank für das Interview und dass Sie sich Zeit für uns genommen haben.

 

Frau T.: Ich freue mich, dass ich euch weiterhelfen konnte und wünsche euch weiterhin viel Erfolg!